Gendersternchen in Wien: Sogar beim Sprechen (2024)

An der Donau kommuniziert man künftig mit Gendersternchen. Ausgerechnet eine Gruppe Geisteswissenschafter setzt sich dagegen zur Wehr.

Birgit Schmid

An der Wiener Universität wird man in Zukunft nicht mehr von «Studentinnen und Studenten» reden. Die binäre Bezeichnung werde der Realität der geschlechtlichen Vielfalt nicht gerecht, sie sei diskriminierend und sollte daher in der internen Kommunikation unterlassen werden. Diese neue Leitlinie gab das Rektorat kurz vor Weihnachten bekannt. Überall glitzerten die Sterne, und vielleicht ist da ein Funken übergesprungen: Die Hochschule will dem Genderstern in ihrer Administration fortan den Vorzug geben.

Der Asterisk bringt sprachlich zum Ausdruck, dass man sich weder als Frau noch als Mann fühlen muss, um mitgemeint zu sein. Alle Student*innen sind miteingeschlossen, jede*r Professor*in, wenn nun die Sprache auf Websites und Dokumenten «sukzessive angepasst» wird, wie es heisst. Tatsächlich begründet die Uni Wien ihre Sprachreform mit einem rechtlichen Entscheid: Im Juni 2018 legte der Verfassungsgerichtshof fest, dass es neben «weiblich» und «männlich» in offiziellen Dokumenten eine Option für ein drittes Geschlecht, zum Beispiel «divers», geben müsse.

Wie viele Menschen an der Universität Wien die dritte Geschlechtsoption im Ausweis wählen, steht in den Sternchen. Hingegen haben alle anderen keine Wahl, was die sprachlichen Empfehlungen betrifft, die die Task-Force «Genderinklusiver Sprachgebrauch» erarbeitet hat. So ist weder die Generalklausel «Frauen sind mitgemeint» weiter zulässig, noch das Binnen-I. Der HochschülerInnenrat auf der Website wird also nicht mehr lange so heissen. Auch wer «Frau» oder «Herr» in der schriftlichen Anrede benutzt, handelt fahrlässig. Im Wortlaut: «Dadurch besteht die Gefahr, Menschen einem Geschlecht falsch zuzuordnen.»

«Lieb* Studierend*» – es droht Migräne

Fast jeder Vorteil birgt seinen Nachteil. Das zeigen geschlechtsneutrale Formulierungen: Mit den «Studierenden» seien wenigstens nicht nur männlich und weiblich gemeint, hebt der Leitfaden positiv hervor. Um im nächsten Satz anzumerken: «Sie haben jedoch den Nachteil, dass sie die Geschlechtervielfalt unsichtbar machen.» Spätestens hier entlarvt sich das Gendern als paradox. Die Betonung der Geschlechtsidentität bewirkt das Gegenteil von dem, was fortschrittlich wäre: dass es doch eigentlich keine Rolle spielt, ob man sich als Frau oder Mann sieht – oder in erster Linie als Mensch jenseits von geschlechtlichen Kategorien.

Weil man weder vom Aussehen noch vom Namen auf das Geschlecht einer Person schliessen sollte, so ein weiterer Wiener Rat, bieten sich als Anredeformen in E-Mails und Briefen verschiedene Sternformationen an. Man lässt das Ende offen und grüsst mit «Sehr geehrt* (Vorname) (Nachname)», «Liebe*r Benutzer*in» oder «Lieb* Studierend*». Es droht Migräne.

Nun betrifft der Versuch, zu einer gerechteren Gesellschaft beizutragen, jedoch nicht nur den Schriftverkehr, sondern auch die Sprechweise. Das geht so: «Der sogenannte Genderstern* wird in der mündlichen Kommunikation als kurze Pause gesprochen.» Die Vorgabe macht wiederum Kleingedrucktes für sehbeeinträchtigte Personen nötig: Auf Screen-Readers von Vorleseprogrammen werde der Genderstern leider nicht immer als «Pause» oder «Sternchen» vorgelesen, wodurch das Wort wie die weibliche Form töne. Und jetzt? Anschaulich wird bei so viel Differenzierung einzig, dass die Inklusion der einen Minderheit den Ausschluss der anderen bedeutet.

In einem Punkt zeigt sich die Universität Wien noch grosszügig. In der persönlichen Kommunikation «mit persönlich bekannten Personen» sei es weiterhin erlaubt, jemanden mit «Sehr geehrte Frau Professorin» anzusprechen – sofern man wisse, dass sich die Person als Frau identifiziere. Den Kollegen von «Die Presse» verleitete das zum Ausruf: «Gott* sei Dank!»

«Kriegserklärung an die deutsche Grammatik»

Mit weniger Humor nimmt eine Gruppe Studenten den Eingriff in die Sprache. Die Historiker, Germanistinnen und Philologen wehren sich dagegen, dass von oben verordnet wird, wie man an der Hochschule zu reden habe oder wie wissenschaftliche Arbeiten verfasst sein müssten, damit sie der gendergerechten Gesinnung entsprechen und man keine schlechtere Bewertung riskiert. Die Studentinnen und Studenten sind politisch unabhängig und stehen als Geisteswissenschafter auch nicht in Verdacht, dass ihre Ablehnung der Genderpolitik durch reaktionäre Impulse motiviert sein könnte.

In der von der Universitätsspitze empfohlenen Schreib- und Sprechweisen sehe man nicht nur «eine Kriegserklärung an die deutsche Grammatik», sagt der Autor Max Haberich, der die Gruppe vertritt, im Gespräch. Der Beschluss bedrohe vielmehr die Redefreiheit. Die Gruppe fordert die Hochschule auf, sich von der Genderideologie zu distanzieren, die sprachlichen Vorgaben zurückzunehmen und sich auf ihre eigentlichen Forschungsaufgaben zu besinnen.

Es dürfte schwierig sein, im politisch linksstehenden akademischen Betrieb Gehör zu finden. Zumal der bisherige Protest der Gruppe harmlos wirkt wie ein Schülerstreich. Zu Semesterbeginn hat man Aufkleber mit dem Spruch «Gendern? Nein, danke!» an «strategischen Orten» wie dem Rektorat oder dem Gleichstellungsbüro angebracht. Nach ein paar Tagen waren viele Kleber wieder abgerissen.

Immerhin so viel der Irritation.

Gendersternchen in Wien: Sogar beim Sprechen (1)

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Kommentar Liebe Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer: Wie halten Sie es mit der Sexualisierung der Sprache von oben? Die Suche nach einer Sprache der Gleichberechtigung hat nicht zur gewünschten Genderneutralität geführt, sondern zu einem neuen Kulturkampf unter den Geschlechtern. Es ist höchste Zeit, das Projekt der gegenderten Ausdrucksform zu begraben – und die Sprache ihren Benutzern zurückzugeben.

René Scheu

Kommentar Lassen wir die Sprache menschlich sein Bald reden die Rät*innen für deutsche Rechtschreibung wieder darüber, wie jedes Geschlecht gerecht in der Sprache abgebildet werden kann. Kritiker_innen monieren gern, dass die diversen Varianten und Zeichen das Deutsche verhunzten. Dabei ist etwas anderes viel gravierender: Der permanente Fokus aufs Geschlecht verformt unser Verständnis des Menschen.

Claudia Mäder

Frausein als Doktrin Die Gender-Studies wollen von akademischer Warte aus die Gesellschaft verändern. Dazu formulieren sie politische Ziele. Ist das noch linke Moral oder schon verordneter Feminismus?

Birgit Schmid

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